Mein Buch bei Rohnstock Biografien
Mein Blog bei Rohnstock Biografien
Obwohl ich in Küstrin geboren wurde, wuchs ich in Limmritz auf, einem Ort im Warthebruch. Im Alter von sieben Monaten kam ich im August 1924 zu meinen geliebten Großeltern, Karl und Antonie Schmidt. Ich war gerade ein Jahr alt, als Großvater Karl 1925 starb. Von nun an schenkte Großmutter Antonie all ihre Liebe mir.
Großmutter lebte in einem Haus mit Franz und Anna Faber, der jüngeren Schwester meiner Mutter. Die beiden liebten Kinder über alles, aber sie konnten keine eigenen bekommen. Gott hatte etwas anderes mit ihnen vor! Wuchs nicht die kleine Lotte im selben Haus auf? War es nicht die Bestimmung der Eheleute sich meiner anzunehmen?
Tante Anna hängte ihr Herz an das schüchterne, blonde Mädchen. Sie liebte es bald ebenso wie ihren Mann. Ich liebte Anna und Franz ebenfalls so innig, daß ich sie Vater und Mutter nannte.
Für mich begann ein reiches, frohes Leben. Die Einheit der Herzen bestimmte den Alltag in der Bruchstraße 18. Großmutter, Anna und Franz wohnten zusammen wie eine Großfamilie. Anfangs führte Großmutter ihren Haushalt noch allein. Das änderte sich schließlich - aber davon erzähle ich später.
Das Dorf Limmritz im Warthebruch wurde zu meiner Wahlheimat, wie ich es gerne nenne. Lemierzyce, wie es jetzt heißt, liegt in der Neumark und gehört heute zu Polen. Die Warthe ist ein Fluß, der nördlich von Katowice entspringt und bei Küstrin in die Oder mündet.
An Limmritz habe ich in all den Jahren gern zurückgedacht. Noch heute besuche ich oft meine alte Heimat. Ich hänge so an diesem Ort, an dem ich Wärme und Geborgenheit fand. Auch mein geliebter Kurt hatte mit seinen Eltern dort gelebt.
Gelegentlich organisiere ich Fahrten und Führungen für Menschen, die auf das unbekannte Land jenseits der Oder neugierig sind. Da ich gewissermaßen Fachfrau für das Warthebruch bin, sei mir an dieser Stelle ein historisch-geographischer Rückblick erlaubt.
Das Warthebruch war schon in der mittleren Steinzeit besiedelt. In den letzten zwei Jahrtausenden vor Christus lebten dort Menschen, die verschiedenen Kulturen angehörten. In der Zeit von 600 bis 100 vor Christus gewannen die Burgunder an Bedeutung, ein ostgermanischer Stamm, der, aus dem westlichen Schweden kommend, das Gebiet zwischen Oder und unterer Weichsel besiedelte. Unter dem Druck der aus Südosteuropa vordringenden Hunnen zogen die Burgunder im vierten und fünften Jahrhundert, in der Zeit der großen Völkerwanderung, langsam weiter in südwestliche Richtung. Bis schließlich slawische Stämme einwanderten, blieb das Warthebruch etwa zweihundert Jahre lang fast unbewohnt.
Mitte des zehnten Jahrhunderts begann die Christianisierung Polens, ausgehend von Klöstern auf dem Gebiet des heutigen Brandenburg und in der Nähe von Magdeburg. Gleichzeitig kamen deutsche Siedler in das Land jenseits der Oder.
Der polnische Herzog Mieszko I. unterwarf sich 963 der Oberhoheit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und dessen Kaiser Otto I. Im Jahr 966 ließ sich Mieszko I. taufen und trat so offiziell zum christlichen Glauben über.
Die folgende Zeit war von heftigen Auseinandersetzungen zwischen Pommern und Polen geprägt. Dies führte dazu, daß der Kirche, vor allem den Templern und dem Zisterzienserorden, Ländereien geschenkt wurden. Die Templer, ein geistlicher Ritterorden, erhielten Gebiete rund um Küstrin, Soldin und Königsberg in der Neumark.
Als die Mongolen im 13. Jahrhundert in Osteuropa einfielen, wurden sowohl Polen als auch Pommern geschwächt. Daher konnte das brandenburgische Geschlecht der Askanier um 1250 die Neumark übernehmen. Brandenburgische Städte und Befestigungsanlagen wurden in dieser Region gebaut, in der schon seit längerem deutsche Bauern und Adlige lebten.
Die Zisterzienser gründeten im 13. Jahrhundert Klöster in der Neumark. Auch die Templer gelangten zu Reichtum und Macht. Im Jahr 1312 wurde der Ritterorden allerdings verboten und aufgelöst, weil er sich von den christlichen Werten abgekehrt hatte. Den größten Teil des Besitzes erhielt der Johanniterorden. Dieser war in Jerusalem gegründet und im Jahr 1113 vom Papst anerkannt worden. Ab 1427 richtete der Orden seinen Sitz für den Verwaltungsbezirk Brandenburg in Sonnenburg, einem Ort bei Küstrin, ein. Die Johanniter widmeten sich besonders der Kultivierung der Landschaft im Warthebruch. Unser Dorf gehörte auch zu den Ländereien der Johanniter.
Limmritz liegt sieben Kilometer östlich von Sonnenburg, inmitten einer idyllischen Landschaft. Die Straße, die von Küstrin über Sonnenburg und Kriescht, weiter nach Osten in Richtung Schwerin führt, teilt das Dorf in zwei Hälften. Der südliche Teil lehnt sich an die Ausläufer des Sternberger Höhenrückens. Der nördliche Teil fällt sanft ab zum Flüßchen Postum und bildet den Eingang in das Warthebruch. Weite Wiesen und wunderschöne, von Bäumen gesäumte Straßen ziehen sich von Limmritz über Woxfelde bis hin zur Warthe-Fähre bei Schützensorge, etwa zwölf Kilometer weiter. Die Dörflein in dieser Gegend tragen fremdländisch klingende Namen: Saratoga, Hampshire, Ceylon, Jamaika.
Der Wanderer, der sich aus nördlicher Richtung Limmritz nähert, erblickt schon von weitem den Turm unserer stattlichen Dorfkirche. Hoch über den Häusern weist sie dem Neuankömmling als „Finger Gottes” den Weg durch die stille Landschaft. Moritz von Nassau ließ die Kirche im 17. Jahrhundert bauen. Später brannte sie ab und wurde als Backsteinkirche neu errichtet. Vom Kirchdach leuchtete einst weithin sichtbar ein großes Johanniterkreuz - ein schwarzes Kreuz auf weißem Grund.
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