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Nicht weit von unserem Haus in Limmritz entfernt, in der Bruchstraße 14, stand das Haus der Familie Guse. Dort kam mein späterer Mann Kurt am 15. April 1922 zur Welt, und dort verbrachte er seine ersten Lebensjahre. Sein Vater war Gastwirt. Er führte das ››Deutsche Haus‹‹. In dem Gebäude befanden sich ein Tanzsaal und drei Gästezimmer. Davor wuchs ein herrlicher Kastanienbaum. Er breitet dort noch heute seine prächtige Krone aus.
Wenn ich Reisegruppen nach Limmritz führe, zeige ich ihnen den altehrwürdigen Baum. Das Gusesche Haus wurde hingegen zerstört.
Hermann Guse, Kurts Vater, wurde am 21. September 1889 geboren. Frieda Guse, geborene Vorwerk, kam am 19. Februar 1896 zur Welt. Sie heirateten im November 1919 in Drossen.
Hermann war ein liebenswerter Mann. Da er die Freiwillige Feuerwehr organisierte und selbst Feuerwehrmann war, kam er viel im Dorf herum. Frieda, eher zurückhaltend, ließ die Menschen nicht so dicht an sich heran. Kurt war ihr einziges Kind. ››Ich kann mich nicht daran erinnern, daß meine Mutter mich jemals in den Arm genommen hätte‹‹, erzählte Kurt später.
Kurts Großmutter war hingegen ebenso wundervoll wie meine. Sie lebte im Guseschen Haushalt. Hatte Kurt sich einen Dreiangel in seine Hose gerissen, ging er zur Großmutter. Sie flickte ihm seine Sachen.
In Limmritz gab es drei Gasthäuser. Wenn im Dorf große Feste veranstaltet wurden, wechselten sie sich mit der Bewirtung ab.
So war es auch beim Schützenfest. Gastwirt Guse ließ im Wald, an einer romantischen Quelle, einen Getränkestand aufbauen. Ein anderes Gasthaus richtete am Abend den Schützenball aus. Im nächsten Jahr wurde getauscht, und Hermann Guse war für den Schützenball verantwortlich.
Das Schützenfest war für uns Limmritzer wohl das größte Ereignis des Jahres. Da versammelte sich Jung und Alt. Kleine Mädchen eilten herbei, Jugendliche, Mütter und Väter und ältere Leute.
Am späten Nachmittag kehrte der Schützenkönig aus dem Wald ins Dorf zurück. Der Zweitplazierte begleitete ihn. Ihnen folgten junge Mädchen in weißen Gewändern. Sie trugen Schärpen aus Eichenblättern. Es dauerte eine halbe Stunde, bis diese Prozession im Dorf angekommen war. Nach ihrem Eintreffen wurde der Schützenball gefeiert. Wir Kleinen durften noch nicht ins Gasthaus. Wir hockten uns aufs Fensterbrett und linsten in den Tanzsaal.
Im Dorf gab es mehrere Vereine. Für den Theaterverein malte Franz Faber die Kulissen, und der Lehrer stellte die Texte zusammen. Im Turnverein trafen sich die Handwerker. Für die freiwillige Feuerwehr war Hermann Guse mitverantwortlich. Da die Limmritzer das Vereinsleben liebten, wurde ständig irgendein Vergnügen organisiert.
Als ich vierzehn Jahre alt war, nahmen mich meine Eltern zum ersten Mal auf einen Ball mit. Es kostete mich einige Überwindung. Ich war zu schüchtern, um an solchen Vergnügen Gefallen zu finden. Franz tanzte auch nicht gern. Meine Mutter Anna hingegen war eine leidenschaftliche Tänzerin.
1939 brach der Krieg aus. Erst nachdem Hitler über Polen gesiegt hatte, durften wieder Bälle veranstaltet werden. Zu meiner Erleichterung gab es aber keine Tanzstunden mehr
- jedenfalls nicht in Küstrin.
Einmal tanzte ich in Guses Gasthaus mit Kurt. Für die Leute im Dorf stand fest, daß wir einander versprochen waren. Unsere Familien hätten wohl nichts gegen eine Heirat eingewandt. Sie wäre durchaus standesgemäß gewesen.
Zu jener Zeit begann das Leben auf dem Land sich zu verändern. Trotzdem gab es noch starke Bindungen, und althergebrachte Traditionen wurden gepflegt. Jeder kannte jeden. Man wußte alles über den Nachbarn, vor allem, wieviel Geld und wieviel Land er besaß. Wenn eine Ehe geschlossen wurde, spielte das Vermögen der beiden Partner eine bedeutende Rolle.
Eine meiner Freundinnen war mit einem jungen Mann liiert. Die beiden hätten gern geheiratet, aber die Mutter des Mannes war dagegen. ››Das Mädchen hat nicht genug Geld!‹‹ sagte sie. Daraufhin trennte er sich von ihr. Ein halbes Jahr später verlobte sich derselbe Mann mit einer anderen Freundin von mir. Sie kam aus einer begüterten Familie und hatte eine gute Aussteuer zu erwarten. Die beiden heirateten und führten eine glückliche Ehe, die mehr als fünfzig Jahre hielt.
So war das damals. Wir hatten uns dem Willen unserer Eltern zu fügen. Die Ehen wurden oft aus Gründen der Vernunft geschlossen. Das war keineswegs nur nachteilig.
Kurts Mutter hatte seinerzeit viel Geld mit in die Ehe gebracht. Ihr Vater besaß ein kleines Gut. Ich war mir nicht sicher, ob sie der Heirat von Kurt und mir zugestimmt hätte.
Als ich Jahrzehnte später endlich mit Kurt verheiratet war, fragte ich ihn: ››Was hätte deine Mutter wohl dazu gesagt, daß du mich nehmen willst?‹‹
Kurt zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete. ››Sie hätte sicher gesagt: ›Kochen kann sie gut, und ein Grundstück besitzt sie auch, also kannst du sie nehmen.‹ ‹‹ Das waren Kriterien, nach denen die Leute früher heirateten.
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